Inventur

Kategorien: Management-Wissen

Alle Jahre wieder: Die Aufstellung und die Bewertung sämtlicher Vermögensgegenstände und Schulden, das sog. Inventar, gehört für alle Kaufleute gemäß § 240 HGB zu den verpflichtenden und anspruchsvollen Aufgaben als Grundlage für die Jahresabschlusserstellung. Von besonderer Bedeutung ist dabei die richtige Vorbereitung, die Umsetzung und nicht zuletzt die zutreffende Bewertung des Vorratsvermögens, also der Bestände an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie der unfertigen bzw. fertigen Erzeugnisse und Waren. Sie stellt die Grundlage für den Ansatz und die Bestandsveränderung in der Bilanz und in der Gewinn- und Verlustrechnung dar. Nachfolgend werden grundlegende Antworten auf praxisrelevante Fragen gegeben.

1. Inventur: Wer? Warum? Wie?

Die Inventur des Vorratsvermögens ist für die meisten Unternehmen von großer Bedeutung für das Ergebnis des laufenden Geschäftsjahres. Das Auf- bzw. Nichtaufnehmen und die jeweilige Auf- bzw. Abwertung erhöhen oder mindern das Jahresergebnis. Dieser gewisse Ermessensspielraum kann durchaus herangezogen werden, um die Ergebnisse im laufenden und in den folgenden Geschäftsjahren zu gestalten. Die Praxis ermöglicht dabei unter Anwendung der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften unterschiedliche Inventurverfahren in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der körperlichen Bestandsaufnahme:

  • Stichtagsinventur:
  • Zeitlich ausgeweitete Stichtagsinventur: innerhalb von zehn Tagen vor oder nach dem Bilanzstichtag.
  • Vor- oder nachverlagerte Stichtagsinventur: bis zu drei Monate vor bzw. bis zu zwei Monate nach dem Bilanzstichtag; wertmäßige Vor- bzw. Rückrechnung erforderlich.
  • Permanente Inventur: Kombination aus buchmäßiger und körperlicher Aufnahme mithilfe einer Lagerbuchführung. Erforderlich ist aber dennoch mindestens einmal jährlich eine körperliche Bestandsaufnahme zu einem beliebigen Zeitpunkt.
  • Stichprobeninventur: nach § 241 HGB unter bestimmten Voraussetzungen.

2. Grundsätze der Inventurerstellung

Bei der Erfassung der Vorräte haben sich in der Praxis verschiedene Inventurverfahren entwickelt. Es gelten jedoch immer die dazu maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften und Grundsätze ordnungsmäßiger Inventur.

Bei der Bewertung des Vorratsvermögens gilt grundsätzlich das Prinzip der Einzelbewertung. Durch gewisse Vereinfachungen lässt der Gesetzgeber unter den Voraussetzungen des § 240 Abs. 3 HGB die Bildung von Festwerten zu. Bei gleichartigen Vermögensgegenständen des Vorratsvermögens ist die Zusammenfassung zu einer Gruppe möglich, welche mit dem gewogenen Durchschnittswert angesetzt werden kann. Anerkannte Verfahren sind folgende Methoden:

  • Lifo-Methode (Last in - first out) und
  • Fifo-Methode (First in - first out).

Praxishinweis: Zu beachten sind hier zugelassene unterschiedliche Wahlrechte in der Handels- und Steuerbilanz. (BMF, Schreiben vom 12. 3. 10 - IVC 6 - S 2133/09/10001, BStBl 2010 I S. 239).

Nach dem Grundsatz der Vollständigkeit sind demnach nicht nur diejenigen Vermögensgegenstände zu erfassen, die zivilrechtlich dem Kaufmann gehören, sondern diejenigen, die ihm nach der wirtschaftlichen Sichtweise (z. B. bei Eigentumsvorbehalt) zugeordnet werden können.

Am Abschlussstichtag sind alle unternehmenseigenen und fremden Vorräte innerhalb des Unternehmensbereichs und alle eigenen Vorräte außerhalb des Unternehmensbereichs zu erfassen, so z. B. auch Kommissionswaren, schwimmende oder rollende Waren.

Aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist eine rationelle Durchführung unerlässlich. Dabei sind keine unzumutbaren und außer Verhältnis zur Bedeutung stehenden Anforderungen notwendig (ADS, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 240 Anm. 25).

3. Leitfaden für die in der Praxis
etablierte Stichtagsinventur

So unterschiedlich jedes Unternehmen ist, so verschieden stellt sich auch die tatsächliche Inventarisierung dar. Die folgenden Checklisten unterstützen zwar bei der Durchführung der Stichtagsinventur, müssen jedoch jeweils auf den Einzelfall abgestimmt werden.

1. Vorbereitungen

Bei der Vorbereitung der Stichtagsinventur sind die folgenden Punkte zu beachten:

Checkliste: Vorbereitung der Stichtagsinventur

  • Festlegung eines verantwortlichen Inventurleiters und Kontrolleurs für Planung, Koordination, Durchführung der Inventur sowie anschließende Kontrolle, Einteilung und Schulung von Mitarbeitern, genaue Definition der Inventurbereiche
  • Festlegung eines genauen Termins mit Angabe des Inventurorts, Beginn und Ende, erforderliches geschultes Personal; wenn keine Stichtagsinventur erfolgt, müssen die genauen Besonderheiten bekannt sein
  • Für die einzelnen Bereiche sind jeweils zwei Personen (Zähler und Schreiber) zu benennen; ggf. weiteres Personal, falls es Unstimmigkeiten gibt bzw. zur Soforterfassung in EDV
  • Kontrolle der Aufnahmelisten: Die Aufnahmelisten sind durchgängig nummeriert, um eine spätere Doppelerfassung zu vermeiden. Des Weiteren ist Platz zu lassen für Bearbeitungsvermerke, Handzeichen des Aufnahmeteams, des Kontrolleurs sowie der Buchhaltung
  • Bereitstellung von benötigten Hilfsmitteln (Papier, Schreibmaterial, Rechenhilfsmittel, evtl. Waagen, Maßbänder etc.)
  • Bekanntgabe aller Inventurorte und aufzunehmenden Waren; hier ist ggf. auf unternehmensspezifische Besonderheiten zu achten (z. B. Produktion während der Inventur)
  • Festlegung und Bekanntgabe, mit welchem Wert die Vorräte aufzunehmen sind

2. Durchführung

Eine gute Vorbereitung sorgt dafür, dass die Aufnahmebereiche und Aufnahmeteams abgestimmt sind. Bei der Inventur handelt es sich um ein richtiges Massengeschäft. Die Organisation muss daher für die Mitarbeiter so ausge­staltet sein, dass jeder genau definierte, einfache und verständliche Arbeitsschritte auszuführen hat.

Selbstverständlich muss deutlich lesbar geschrieben werden. Anzugeben sind Angaben über

  • die eindeutige Bezeichnung der Waren,
  • die Menge sowie
  • die Maßen/Größen und Mengeneinheiten.

Ferner müssen für die anschließende Bewertung Hinweise auf Defekte, Beschädigungen und das Verfalldatum gegeben werden. Eine abschließende Kontrolle erfolgt durch selektives Nachzählen des Kontrolleurs. Dabei werden kleinere Fehler behoben und die Aufnahmeberichte korrigiert.

Praxishinweis: Vergessen Sie nicht die Aufnahme von unfertigen Erzeugnissen. Mit deren Bewertung sollten jedoch nur erfahrene Mitarbeiter betraut werden, da diese den Fertigungsgrad am realistischsten bestimmen können.

4. Bewertung und Gliederung des Vorratsvermögens

Nach § 253 Abs. 1 HGB sind Vermögensgegenstände höchstens mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen. Dabei schreibt das Handelsrecht zwingend den Ansatz des niedrigeren Werts nach § 253 Abs. 3 HGB vor (Niederstwertprinzip). Die berücksichtigungsfähigen Aufwendungen ergeben sich aus § 255 HGB. Steuerliche Wahlrechte können unabhängig von der handelsrechtlichen Bewertung ausgeübt werden.

Die Untergliederung erfolgt in drei Bereiche: Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, unfertige Erzeugnisse/unfertige Leistungen sowie fertige Erzeugnisse/Waren.

  1. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe
    Beim produzierenden Unternehmen stellen die Rohstoffe die Hauptbestandteile der Fertigung dar. Hilfsstoffe haben grundsätzlich eine untergeordnete Bedeutung und dienen dazu, die Erzeugnisse verkaufsfähig zu machen. Die Betriebsstoffe werden für alle betrieblichen Bereiche verwendet. Hierzu zählen insbesondere die allgemeinen Verwaltungs- und Vertriebskosten. 
  2. Unfertige Erzeugnisse und unfertige Leistungen 

    Unfertige Erzeugnisse sind alle Vermögensgegenstände, die zum Verkauf bestimmt sind und am Abschlussstichtag noch nicht den endgültigen Zustand der Veräußerung erreicht haben (zu Abgrenzungsproblemen vgl. auch NWB Kommentar Bilanzierung, 3. Aufl., Herne 2012, § 266). Auch unfertige Bauten bei Bauunternehmen können zu den unfertigen Erzeugnissen gehören. Die Bewertung erfolgt mit ihren Herstellungskosten, insbesondere den Materialkosten und Fertigungslöhnen, gerechnet auf den jeweiligen Fertigungsstand.Als unfertige Leistungen werden die in Ausführung befindlichen Aufträge von Dienstleistungs- und Bauunternehmen für unfertige Bauten bezeichnet, die auf fremden Grund und Boden errichtet worden sind.

  3. Fertige Erzeugnisse und Waren
    Zu den fertigen Erzeugnissen gehören alle selbst hergestellten, verkaufsfertigen Güter. Waren sind angeschaffte Gegenstände, die ohne oder nur mit unwesentlicher Be- oder Verarbeitung der Veräußerung dienen.

Praxishinweis: Berücksichtigen Sie, dass fertiggestellte Leistungen (z. B. Beratungsleistungen) als Forderungen auszuweisen sind, selbst wenn sie am Bilanzstichtag noch nicht abgerechnet worden sind.

Zudem kommen Abwertungen auch aus qualitativen Gründen oder wegen mangelnder Absätze der Waren in Betracht.

5. Prüfungshandlungen bei der Jahresabschlusserstellung

Je größer der Gesamtwert des Vorratsvermögens, desto wesentlicher ist er für die Bilanz insgesamt. Und je wesentlicher eine Bilanzposition, desto mehr weckt sie das Interesse des Abschlussprüfers und der Kapitalgeber. Grundsätzlich ist eine Prüfung des Vorratsvermögens bei Erstellung des Jahresabschlusses durch den Steuerberater oder den Wirtschaftsprüfer nicht erforderlich, es sei denn, die Prüfung ist im Auftrag des Mandanten ausdrücklich vereinbart worden. Ein gesetzlicher Prüfungsauftrag ergibt sich lediglich bei Durchführung einer gesetzlichen Jahresabschlussprüfung.

Üblicherweise wird die Prüfung im Rahmen der Abschlussarbeiten nur in relativ geringem Umfang und nur bei besonderer Werthaltigkeit dieser Bilanzposition durchgeführt. Das übliche Procedere des Prüfungsbeauftragten berücksichtigt insbesondere haftungsrechtliche Aspekte und die genaue Auftragserteilung des Mandanten. Bei offensichtlichen Auffälligkeiten und Unstimmigkeiten besteht jedoch auch ohne weiteren Auftrag eingeschränkter Prüfungsbedarf.

Eine umfassendere Prüfung wird immer dann vorausgesetzt, wenn bei einem Unternehmen die Bilanz die Grundlage für eine Kreditgewährung bei einem Kreditinstitut darstellt. Meist setzen diese eine Plausibilitätsbeurteilung von einem Berufsträger voraus.

Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Waren sind zumindest auf deren rechnerische Richtigkeit hin und auf zutreffende Preisansätze zu kontrollieren.

Teilfertige und fertige Erzeugnisse und Leistungen erfordern eine intensivere Prüfungshandlung. Die Plausibilität zwischen dem bilanziellen Ansatz und den erhaltenen Anzahlungen oder zwischen Materialeinsatz, Lohneinsatz und Fremdleistungen sollten diese Wertansätze plausibel und nachvollziehbar machen. Je nach Werthaltigkeit dieser Bilanzposition sind genauere Kalkulationen notwendig.

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